Ein mittelalterlicher Kaiser als Namenspatron?

Briefumschlag zur Jubiläumsaustellung der Vereins der Briefmarkenfreunde von Itzehoe 1975 (Archiv Neu)

Karl der Große wurde 800 zum ers­ten Kaiser des (west-)euro­päischen Mit­tel­alters gekrönt. „Vater Eu­ropas“ wird er be­titelt und in Aachen wird jähr­lich ein nach ihm be­nannter Preis für Ver­dienste um Europa und die euro­päische Eini­gung ver­liehen. Deutschland­weit gibt es drei Schulen, die seinen Na­men tragen: Eine in Kassel, ein Gym­nasium in Aachen – was Wunder, war dies ja seine Lieblings­residenz und Grab­lege. Und hoch im Norden die KKS in Itzehoe. Wie kam un­sere Schule zu die­sem Namen?

Am 9. Mai 1910 ver­lieh die preußische Schul­be­hörde dem städtischen Real­gymnasium den Na­men Kaiser Karl Schule. Im gleichen Atem­zug hatten die Stadt­väter in Berlin an­gefragt, ob die Mädchen­schule den Namen der aktu­ellen Kaiserin tragen dürfe.

Wir be­finden uns im wilhel­minischen Kaiser­reich, dem wieder­ge­wonnenen, zweiten Kaiser­reich und da­rauf ist man stolz. Mit Karl dem Großen ist eine Brücke zum ers­ten Reich ge­schlagen und Karl hat einen direk­ten Be­zug zum Raum Itzehoe, auch wenn er selbst nie vor Ort war: Vor ge­nau 1100 Jahren hatte er näm­lich seinen Grafen Eg­bert beauf­tragt, im heutigen Heiligen­stedten eine Ring­burg zum Schutz gegen den Dänen­könig Göttrik zu er­richten. So be­richten die frän­kischen Reichs­annalen und mehrere im 20. Jhd. ge­tätigte archä­ologische Unter­suchungen der „Esesfeld­burg“ be­stätigen dies.

Lange Zeit hat Itzehoe die Karls­burg als Keim­zelle der Stadt ge­wertet, eine Kontinuität zur Burg der Billunger Herzöge in der Neu­stadt ist aber nicht ge­geben.

Karl vereinte ein großes Reichs­gebiet unter seiner Herrschaft und kann so Franzosen, Italienern, Deutschen und Be­wohnern der Benelux­staaten als inte­grative Figur dienen. Freilich war er weder Franzose oder Deutscher, son­dern Franke – nicht mehr (aber auch nicht we­niger). Es ist un­klar, ob der „Vater Europas“ in irgend­einer Art und Weise die Vision eines po­litischen Europas hatte.

Überhaupt ist das Franken­reich so weit ent­rückt, als poli­tisches Vor­bild taugt Karl der Große nicht mehr. Und auch die Glaubens­welt des Mittel­alters ist ver­gangen. Allerdings kann man Karls Handeln und Denk­weisen nicht ohne diese Welt be­trachten.

Er hatte nämlich die Vor­stellung, dass sich ein so großes Reich nur regieren, ja auch ein gott­ge­fälliges Leben nur leben ließe, wenn es eine all­ge­mein­gültige Eindeutig­keit gäbe.

Das klare, ein­deutige Wort als Rechts­norm, in gram­matisch ein­heit­licher Form sollte im ge­samten Reich das be­stim­mende Medium sein. Un­sere Schrift geht zum Bei­spiel auf die karolin­gische Minuskel zurück. Die Be­zeichnung „Times New Roman“ führt in die Irre, sie stammt aus Karls Zeit. Ein­deutig­keit wurde zur Voraus­setzung für richtiges und ge­rechtes Handeln. Aber was ist all­ge­mein­gültig? Was ist Wahr­heit? Wenn man da zu einer Ant­wort kommt, muss diese Ant­wort ja di­rekt wieder hinter­fragt und von allen Seiten be­leuchtet werden, wenn sie allge­mein­gültig sein soll. Das ist kate­goriale und dialek­tische Denk­weise a la Aristoteles, ge­paart mit an­deren er­kenntnis­theoretischen Ansätzen, die man durch­aus als Allein­stellungs­merkmal west­licher Kultur be­zeichnen kann.

Karl ver­sammelte an seinem Hof die führen­den Köpfe und Denker des Reiches und vieles, was in spä­teren Zeiten zum Tragen kommt, ist hier schon an­gelegt.  Die er­neuerte Kloster­kultur wurde erster Träger des Schul­wesens.  Wissen­schaftler sprechen von einer ersten euro­päischen Renaissance.

So eignet sich Karl hervor­ragend als Namens­patron, man kann von ihm auch heute etwas lernen und zwar nicht wenig:  Sein Be­mühen, die Wahr­heit zu finden war der An­sporn zu einem großen Wissens­drang, der sich auf alle Be­reiche des Lebens aus­dehnte. Da­hinter steckt Neugier, in der auch der hinter­fragen­de Zweifel schon keimt. Die im­mer neue Suche, darin war Karl wahr­haftig ein Großer und dies hat auch das heutige Eu­ropa geformt und groß ge­macht.