Der Hausaufsatz

Aber der Höhepunkt sollte noch folgen. Wir hatten in Deutsch einen Hausaufsatz auf, an das genaue Thema kann ich mich nicht mehr erinnern, es war wohl eine Interpretation eines kurzen Gedichtes – ein  Steckenpferd  von Herrn Priewe, unserem Klassen- und Deutschlehrer. Nachdem er dem einen oder anderen mit wenig Wohlgefallen zugehört hatte, wollte er nun auch einmal einen guten Beitrag hören. Also bat er Günther, seinen Aufsatz vorzulesen. Dieser öffnete umständlich sein Heft, blätterte darin und fing an lesen. Priewes Gesicht hellte sich auf, wir anderen schauten bewundernd auf Günther. Der hatte das drauf, wie immer eigentlich. Nach Beendigung seines Vortrages zollte Priewe ihm Beifall. "Damit bin ich voll einverstanden. Gut gemacht, Krause. Nur die eine Stelle würde ich gerne noch einmal hören. Die habe ich nicht so ganz verstanden.“ Krause fragte nach, um welche es sich denn handelte. Priewe erklärte es ihm und wartete darauf, dass er sie wiederholte. Günter brauchte eine kurze Zeit, die besagte Stelle zu finden und las sie vor.
"Aber vorhin haben sie etwas anderes vorgelesen. Wiederholen Sie das doch noch einmal!", forderte Priewe ihn auf. Und erneut las Günter den Satz vor, genauso wie vor einer Minute. Priewe war nun etwas irritiert. " Krause,  was lesen sie da eigentlich immer vor? Vorhin haben sie doch etwas ganz anderes gelesen. Zeigen Sie mal ihr Heft her!"
Günther nahm sein Heft, erhob sich von seinem Platz und ging zum Pult. Dort legte er es aufgeschlagen vor seinen Deutschlehrer. Priewe starrte auf das Heft seines Klassenprimus, sein Gesicht lief rot an ( das tat es übrigens immer, wenn er wütend war) und entgeistert brachte er stammelnd hervor: "Äh, Krause, äh, was soll das, äh, bedeuten? Äh, Sie haben ja gar nichts geschrieben, das Heft ist ja, ähhh, völlig leer."
Ja, so war er, unser Mitschüler Günter Krause. Wie die Angelegenheit ausgegangen ist, daran kann ich mich nicht mehr so recht erinnern.

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