Geschichtsprofil Q1: Exkursion nach Krakau und Auschwitz
Der Blick kann hier frei und weit schweifen. Einige niedrige Gebäude, Zäune - zum Teil in sehr weiter Ferne vor dem bewaldeten Horizont. Und viel blauer Himmel mit wattigen Wolken. Ein krasser Gegensatz zum vier Kilometer entfernten Stammlager, aus dem uns unser Bus hierher gebracht hat. Wir haben das berühmte Torhaus passiert und sind in der Todesfabrik, in Auschwitz-Birkenau, angekommen.
Die Kursfahrt hat das Geschichtsprofil Q1 nach Krakau geführt. Die Burg der polnischen Könige, der große Marktplatz mit den Tuchhallen. Quirliges Treiben, viele junge Menschen sind hier unterwegs. In Kasimierz, dem ehemaligen jüdischen Viertel haben sich Szenekneipen und Klezmerbars etabliert. Auf dem anderen Ufer der Weichsel wurde von den Deutschen 1941 das Ghetto eingerichtet. Wir besuchen die Emaillewarenfabrik, in der Oskar Schindler Leben rettete.
Nach einer guten Stunde Fahrt erreicht man von Krakau aus Auschwitz. Backstein prägt das Stammlager, dazwischen viel Grün, eine Illusion – vierzig Kilo leichte, hungernde Gerippe lassen kein Gras zwischen den Pflastersteinen übrig.
Man glaubt ja zu wissen, was einen erwartet. Funkkopfhörer kapseln einen in den Besucherströmen, die die mehrstöckigen Gebäude erfüllen, ab. Die Informationen, die die Führerin mitteilt, kennt man überwiegend und doch durchdringen sie den emotionalen Filter, man weiß nicht, wo es einen erwischt. Vor einem Foto? In einer Hungertodzelle oder vor Bergen von Haaren?
Namen der Eigentümer auf Koffern. „Kauft nicht bei Juden“, geht es los. Und hat man dies nicht gerade in der realen Welt eben erst gehört? „Schließt jüdische Mitstudenten aus euren Unis aus!" Übergriffe mit rot gefärbten Händen, natürlich nicht mit Blut wie das Idol und doch dessen bestialischen Todeskult feiernd. „Nach Polen!“ wird heute in den Protestcamps skandiert, dabei hätten wir uns damals noch auf deutschem Reichsgebiet befunden. Auch lag der SS der Blutrausch fern, „anständig geblieben zu sein“ ist die Devise.
Deshalb wird „verarbeitet“ und „sonderbehandelt“. Ankommende Transporte haben in Birkenau Vorrang, so warten bis zu tausend zur „Verarbeitung“ vorgesehene Frauen in einer verriegelten Baracke eingesperrt, wissend, was sie erwartet. Tagelang. Die wenigen Minuten, die wir hier drin verbringen, triggern die Vorstellungskraft.
Im Winter fällt die Temperatur unter 20 Grad Minus. Wir sehen die für das Lager in viel zu geringer Zahl vorhandenen sanitären Anlagen, wochenlang ohne Wasser, da die Leitungen zugefroren sind. Derweil läuft der Betrieb der anderen „Duschräume“ weiter. Die Brennöfen arbeiten unverdrossen, über viertausend pro Tag – es reicht nicht, das muss doch schneller gehen.
Anders als im Stammlager wurden die Gaskammern und großen Krematorien beim Abzug von der SS gesprengt, deshalb kann der Blick hier frei und weit schweifen. Einige niedrige Gebäude, Zäune - zum Teil in sehr weiter Ferne vor dem bewaldeten Horizont. Und viel blauer Himmel mit wattigen Wolken.
„Ein Grab in den Wolken, da liegt man nicht eng"
Paul Celan - Todesfuge