Jubelstürme für KKS-Theatergruppe

Itzehoe. "Typisch KKS-Theater!", muss man wieder sagen: ein abendfüllendes Drei-Stunden-Stück, nicht enden wollender Beifallsjubel im ausverkauften theater itzehoe, eine fantastische Ensemble-Leistung, Bühnenbild, Kostüm, Maske und Requisite bis ins letzte Detail durchdacht, raffiniertes Licht, eine ausgeklügelte Musikdramaturgie und über allem die seit 35 KKS-Jahren markante Regie-Handschrift von Doris Brandt-Kühl. 

Nach all diesem Lob, das noch vielfach für schauspielerische Einzelleistungen ergänzt werden könnte, ist diesmal doch etwas untypisch: Das Publikum wird seinen Beifall während des Stücks nicht los. Die Szenen nach Hans Falladas Roman "Jeder stirbt für sich allein" muten Heftiges zu. Da wird bis zum Abwinken gesoffen, brutale Gewalt wird auf offener Bühne praktiziert, die Sprache der Gestapo-Chargen in ihrer ganzen Widerlichkeit ausgedrückt. Ja, die Roman-Adaption, die die KKS-Truppe selbst erarbeitet hat, scheut sich auch nicht, das Mitreißende der Nazis anzudeuten. Wippte da nicht heimlich der Fuß mit, als das Horst-Wessel-Lied geschmettert wurde? 

Aber bevor sich der Sympathie-Virus festsetzt, konfrontiert die Inszenierung ihr Publikum schon wieder mit dem, was die Momente des Verständnisses aufbricht, indem sie provozierend mit den Folgen und den Tabus konfrontiert. Beispielhaft fasst ein Moment dieses Konzept zusammen: In der Deportationsszene gibt es nur das Geräusch der schlurfenden Juden. Und dann (das kann nur Theater!) Lichtwechsel, Freeze und ein einziger stumm anklagender Blick der Deportierten ins Publikum. Da stockt der Atem. Da kann man nicht klatschen. Da bleibt nur jenes Gehüstel, das der Kloß im Hals gerade noch zulässt, wenn man wieder zu Luft kommen will. 

Falladas Roman spielt zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Er erzählt die Geschichte des Ehepaars Quangel, das sich, eigentlich politisch unorientiert, nach dem Soldatentod des Sohnes "für Führer, Volk und Vaterland" zum Widerstand gegen Hitler entschließt. Sprachlich ungeschickt formulieren sie Karten, die sie an belebten Orten ablegen. Nach zwei Jahren und fast 300 Widerstandskarten werden sie von der Gestapo verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die wahre Geschichte zeigt den Widerstand des "kleinen Mannes" (eben Fallada!) und dokumentiert Denunziation und Justiz-Terror. 

Überall Todesurteile - Szene mit Rahel Rösch und Keno Ploog.

Trotz einiger Längen wegen des überambitionierten Regie-Konzepts (Doris Brandt-Kühl will zu viele Facetten des Romans in der Bühnenadaption bewahren) gelingen dem Ensemble Rollenstudien von großer Eindringlichkeit. Absolut überzeugend spielen Keno Ploog und Kerrin Thode die Quangels in ihrem unbeholfenen Widerstand mit ihren inneren Widersprüchen, die in den verrückten Gnadengesuchen gipfeln. Schließlich stirbt jeder für sich allein. Jasper Gloy als Kommissar Escherich und Dimitria Nogueira de Freitas als Obersturmbannführer Prall zeigen in ihren Rollen, dass Täter auch Opfer sind, aber letztlich willige Vollstrecker bleiben. Zum Schluss stellt die Inszenierung den Widerstand der Quangels in seinen historischen Kontext. Wie ein antiker Chor flüstert das Ensemble die Namen der bekannten Widerstandskämpfer als Fuge, zum Schluss die wahren Namen der historischen Quangel-Vorbilder.

Kein Ende des Lobs: Das Programmheft bietet einen guten Berg an Informationen. Abschreibvirtuosen könnten es locker zu einer literaturwissenschaftlichen Doktorarbeit umarbeiten.

13. Februar 2012 | 06:45 Uhr | Von Peter A. Kaminsky (sh:z) Fotos: Müller-Tischer

 

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