Heiße Luft unterm Dach

Heiße Luft unterm Dach

Mit lakonischem Tonfall lässt Sebastian Dunkelberg K. zum Maler Titorelli in die Dachkammer stei­gen, vorbei an „verdorbenen“ Mädchen zu echter wie metaphorischer „heißer Luft“. Titorelli lädt ihn mit kratzender Stimme ein, einzutreten. Dann entwickelt sich ein Gespräch über K.s Schuld und die Chan­cen für einen Freispruch. Der Hamburger Schauspieler, Dozent und Regisseur zieht den 12. und 13. Jahrgang in der Aula der Kaiser-Karl-Schule schnell in seinen Bann, als er ein zentrales Kapitel aus Franz Kafkas Romanfragment „Der Proceß“ vorträgt. K. ist die Hauptfigur und wird am Morgen seines 30. Geburtstages verhaftet, ohne sich einer Verfehlung bewusst zu sein. Dunkelberg ist im Anschluss an die Lesung selbst überrascht, wie konzentriert ihm die Oberstufenschülerinnen und -schüler zu­hör­ten. Kafkas tiefgründiges Ringen mit innerer und äußerer Schuld ist zwar vorgeschriebene Lektüre im Zentralabitur, doch das Werk entfaltet im Vortrag schnell eine Eigendynamik und weit mehr Wir­kung als beim stillen Lesen. Kafkas so kunstvolle wie sachlich distanzierte Sprache findet mit Se­bas­tian Dunkelberg einen kongenialen Interpreten. Er erläutert den Schülerinnen und Schülern im An­schluss an die Lesung auch detailliert seinen Zugang zu diesem Textauszug, den er selbst ausgewählt hat: „Die Szene mit dem Maler ist eine Schlüsselstelle, da sie die Ausweglosigkeit der drei Möglich­keiten für einen Prozessausgang klar macht.“ Titorelli nähre die Hoffnung, seine vermeintliche Hilfe laufe aber ins Leere.  Eine kurze Diskussion entzündet sich daran, ob sein Lachen in Dunkelbergs Vor­trag schadenfroh gemeint sei. „Eigentlich nicht. Er lacht über die Absurdität der gesamten Situation. Der Frust bricht aus ihm heraus. Er ist ebenso verloren wie K.“, interpretiert Oberstufenleiterin Sa­bine Schramm diese Stelle. Sie verweist auch auf den Raum, in dem sich die Dachgeschossszene ab­spielt: „Es ist kein privater Raum. Alle haben Schlüssel, marschieren über das Bett.“ Auf die Frage, wo­für die Mädchen stehen, meint Dunkelberg: „Das ist die zweite Seite von K., die Mädchen zei­gen, wie fremdbestimmt er ist.“ Und warum spielt sich die Auseinandersetzung mit dem Maler im Dach­geschoss ab? Möglicherweise, weil das oberste Stockwerk auch die größtmögliche Hoffnung aus­drückt, erfuhren die Schülerinnen und Schüler, die sich engagiert an der Diskussion beteiligten. Die 13. Klassen haben den „Proceß“ bereits behandelt und den Stoff mit dieser Lesung für das schrift­liche Abitur noch vertiefen können. Die 12. Klassen werden sich die Lektüre am Ende dieses Jahres vor­nehmen und haben damit schon einen anregenden Vorgeschmack erhalten.

Gabriele Knoop

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