Unser erstes Mal in Kaluga...
Ca. 12 Stunden nach dem Beginn unserer Reise auf den Malzmüllerwiesen, einem knapp dreistündigen Flug nach Moskau und einer längeren Busfahrt kamen wir endlich gegen 23.00 Uhr bei unserer Partnerschule Nr.10 in Kaluga an. Wie wir später erfuhren, hätten die russischen Jugendlichen uns anlässlich unserer heißersehnten Ankunft gerne mit einem Feuerwerk begrüßt, aber das war ihnen nicht erlaubt worden. Das Willkommensbad in der kreischenden Menge war nicht weniger beeindruckend und erfrischend für unsere müden Geister, schnell hatten sich die Pärchen gefunden, die bereits seit zwei Monaten in regem Briefkontakt standen und recht bald war die Einfahrt vor der Schule wieder wie leergefegt.
Am nächsten Mittag kamen wir alle zu einem ersten „Treffen" in der Schule zusammen. Wie wir überrascht feststellten, verbarg sich hinter diesem Programmpunkt ein 60 (!) -minütiges Willkommenskonzert mit gesanglichen, tänzerischen und sonstigen kreativen Höchstleistungen, die uns zu Ehren in wochenlanger Projektarbeit einstudiert worden waren. Wir waren hin- und hergerissen zwischen Begeisterung und der puren Ratlosigkeit, wie wir so einen Empfang in Deutschland jemals erwidern sollen ...
Den Sonntag verbrachten wir zusammen mit unseren Gastfamilien an unterschiedlichen Orten. Die einen lernten Töpfern im Freizeitpark „Etnomir" (= Welt der Völker), andere machten Tagestouren nach Tula oder Moskau, einige liefen Schlittschuh in Kaluga. Frau Francou und mir wurde das große Glück zuteil, das Landgut Lew Tolstojs in dem Ort Jasnaja Poljana kennenzulernen, das unter seiner noch üppigen Schneedecke viele mystisch anmutende Fotomotive bot.
In der Schule ab Montagmorgen war für uns alle gewöhnungsbedürftig, dass es kein Lehrerzimmer für die 67 Lehrkräfte gibt. Treffpunkte wurden für uns die Lehrergarderobe und der Klassenraum von Mariam Chatschikowna, einer der sechs Deutschlehrerinnen und Koordinatorin des Austausches. Als ungewöhnlich empfanden wir auch, dass alle Altersgruppen, von der ersten bis zur elften Klasse, unter einem Dach unterrichtet werden... insgesamt 962 Schülerinnen und Schüler. Dass wir unseren russischen PartnerInnen in der Schule auf Tritt und Schritt folgen durften, ermöglichte uns nicht nur vielfältige Einblicke in den Unterricht, sondern auch in das Schulleben der Schule Nr. 10. Erwähnenswert sind hier zum Beispiel der nach Geschlechtern getrennte Sportunterricht, der besonders gute technische Service bei Großveranstaltungen in der Aula, die beim Wettbewerb „Mister Schkola“ weniger strengen Bewertungsmodalitäten als zunächst angenommen (!) - wie ich als frisch gebackenes Jurymitglied am eigenen Leib zu „spüren“ bekam - , der Gesangsauftritt der ehemaligen Schülerin Lisa, die uns auf dem Abschiedsabend wie eine zweite Adele vom Hocker riss.
Das Angebot der Exkursionen war abwechslungsreich, anregend und informativ. Besonders gefallen haben uns der Blick hinter die Kulissen des Kaluger Stadttheaters, der Besuch beim Volkswagenwerk in Kaluga, in dem ca. 4500 Menschen aus der Umgebung Arbeit finden, sowie der Empfang unserer Gruppe im Bildungsministerium zusammen mit der Schuldirektorin Alexandra Sergejewna, der Russischlehrerin Anna Alexandrowna und Mariam Chatschikowna. Dort hieß Olga Alexejewna unsere deutsche Delegation offiziell willkommen und brachte ihre Hoffnung auf eine gute und langwährende Zusammenarbeit zum Ausdruck. Als wir sie, was bei den vielen unterschiedlichen Kombinationen an Vor- und Vatersnamen nicht verwunderlich ist, fälschlicherweise mit „Olga Alexandrowna“ ansprachen, reagierte die Schulrätin des Kreises cool und bot lächelnd „einfach Olga" an.
Wunderbar war es, dass unsere SchülerInnen die Möglichkeit bekamen, auf einem russischen Markt einkaufen zu gehen. Nicht nur sie, sondern auch wir beiden Russischlehrerinnen waren voll des Stolzes über die zahlreichen von Erfolg gekrönten realen Gesprächssituationen. Einige Verkäufer waren zum Glück leicht davon abzubringen, in unseren Mädels potentielle Heiratskandidatinnen zu sehen... In der Regel entlockte das Nennen unserer Herkunft bei allen Einheimischen, denen wir begegneten, ein lächelndes „Guten Tag" oder „Auf Wiedersehen“.
An außergewöhnlichen Begegnungen werden uns ansonsten besonders Zwei in Erinnerung bleiben:
Ein notfallbedingter Besuch in einer russischen Augenklinik um Mitternacht brachte uns, nachdem der einem „Zerberus" ähnliche Nachtwächter uns schließlich murrend Einlass gewährt hatte, in den Kontakt mit einem aus dem Schlaf gerissenen, aber äußerst kompetenten Augenarzt. Obwohl er nicht besonders viel mit uns redete, hatte er blitzschnell das (medizinische) Problem erkannt und half einem Reisemitglied so nachhaltig, dass die an demselben Tag aufgekommenen Beschwerden im Nu behoben waren.
Auch der Verlust eines Smartphones auf der Damentoilette im Flughafen Scheremetjewo kurz vor dem Rückflug ging glimpflich aus. Ein engagierter Polizist konnte nämlich die verunsicherte Gelegenheitsdiebin, die bereits auf dem Weg ins Zentrum von Moskau war, (telefonisch) dazu bringen, das gestohlene Smartphone an einem Ort in Flughafennähe abzugeben. Von dort aus holte der hilfsbereite Beamte es persönlich ab und übergab es Frau Engel noch so rechtzeitig bei der Passkontrolle, dass sie - ohne Verspätung - zu der bereits beim Gate ungeduldig wartenden Gruppe dazustieß und das Flugzeug pünktlich starten konnte.
Ein besonderes Sahnehäubchen zum Abschluss unserer Reise war für viele die Exkursion in Moskau unter Führung von Frau Francou. Innerhalb von sechs Stunden haben wir nicht nur die wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Kreml und auf dem Roten Platz gesehen, sondern konnten auch die leckere Kost der russischen Fastfoodkette Teremok probieren und ein paar der schönsten Moskauer U-Bahnstationen besichtigen.
Als größten Wohlfühlfaktor und Anker unseres Aufenthalts haben wir alle das Leben in der Familie empfunden. Wir fühlten uns von unseren russischen Gasteltern liebevoll umsorgt und behütet und genossen die Vielfalt der häuslichen russischen Küche. Da die Gasteltern in den meisten Fällen keine Deutschkenntnisse hatten, gab es viel Gelegenheit, Russisch zu sprechen.
Zwischen den deutschen und russischen PartnerInnen sind viele Freundschaften geschlossen worden. Nun ist es an uns, ihnen bei ihrem Besuch im September einen ähnlich herzlichen Empfang zu bereiten und ein interessantes, unterhaltsames und abwechslungsreiches Programm zu bieten.
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Fotos: Fn